Flattr und Kachingle – eine kritische Bestandsaufnahme des Marktes

Anlässlich der 6. Socialbar in Hannover entstand der nachfolgende Vortrag zum Thema Social Payment. Im Fokus steht die vergleichende Betrachtung der Dienste Flattr und Kachingle sowie eine kritische Bestandsaufnahme der relevanten Faktoren zur Marktentwicklung.

Es sei zunächst klar gestellt, dass es sich bei Social Payment um eine Form des Crowdfundings handelt und nicht um reines Micropayment. Mit Social Payment erfolgt eine freiwillige Finanzierung von Online-Inhalten, vergleichbar mit einer freiwilligen GEZ-Gebühr, die jedoch anders als die staatliche verordnete Rundfunkabgabe vom Konsumenten selbst an die Produzenten verteilt wird.

Der Vergleich der beiden Dienste Flattr und Kachingle erfolgte bereits im Beitrag „Ein Systemvergleich: Flattr und Kachingle“ und wird an der Stelle aktualisiert.

In den vergangenen Wochen ist die Diskussion über Socialpayment fortgeschritten und es ist an der Zeit, dass auch die Probleme und Hindernisse für den Erfolg der Dienste beleuchtet werden, wobei Probleme gerne synonym zu Herausforderungen verwendet wird. Es gibt drei Problem-Cluster, die im Folgenden beschrieben werden:

1.    Probleme des Marktes
2.    Probleme der Dienste
3.    Kulturelle Probleme

Probleme des Marktes

  1. Henne-Ei-Problem zweiseitiger Märkte
    Für Social Payment existiert derzeit kein Markt. Durch die neuartigen Dienste zur freiwlligen Vergütung von Online-Inhalten wird dieser Markt erst bereitet. Marcel Weiss hat das Henne-Ei-Problem zweiseitiger Märkte [http://www.neunetz.com/2010/04/30/wie-kachingle-das-henne-ei-problem-angeht/] beschrieben, in welchem Konsumenten auf Produzenten warten und Produzenten auf Konsumenten.
  2. Transparenz der Wertschöpfung
    Es handelt sich bei Social Payment um die Übertragung von Geld zu einem Dienst mit dem Auftrag dieses an selbst ausgewählte Empfänger. Mit der Übertragung wechselt auch die Verantwortung zur korrekten Abrechnung und Weiterleitung des Geldes an den Dienst. Um den Erwartungen dieser Verantwortung gerecht zu werden, müssen die Dienste entsprechend mindestens gegenüber dem Nutzer Rechenschaft ablegen. Dazu gehört auch die Information darüber, was mit dem Geld zwischen Einzahlung und Auszahlung passiert.
  3. Transaktionskosten der Finanzdienstleister
    Für die Abwicklung des Geldtransfers haben sich beide Dienste zur Verwendung von PayPal entschieden. Das bedeutet, dass für dreimalig Transaktionskosten entstehen, die die übertragene Summe mindern: Einmal bei der Einzahlung, ein zweites Mal beim Transfer von einem Konto auf ein andere und ein drittes Mal bei der Auszahlung des Geldes. Mehrfach wurde bereits Kritik geäußert, dass diese Transaktionskosten zu hoch seien.
  4. Verstärkung von Prominenz
    Die Nutzungshäufigkeit wird die Nutzungsrealität abbilden und damit ist zu erwarten, dass die ohnehin schon häufig besuchten Internetseiten auch im Bereich des Social Payments überdurchschnittlich abschneiden. In der Folge werden die Prominenz der Inhalte-Abieter verstärkt.

Probleme der Dienste

  1. Zuverlässige Skalierung
    Bislang haben beide Dienste erst eine geringe Auslastung erfahren und haben während dieser Zeit durchweg stabil funktioniert. Wenn dauerhauft eine mindestens sechstellige Nutzerzahl auf die Dienste verwendet, muss sich erweisen, ob ihre Skalierung auch größere Belastungen aushält, für die sie bislang nicht getestet wurden.
  2. Transaktionskosten determinieren Gewinnmarge
    So lange die Dienste nicht selbst als Finanzdienstleister das Geld verwalten und die Transaktionen vornehmen, sind sie der Preisgestaltung des Diensleisters (in diesem Fall jeweils PayPal) unterlegen. Entsprechend ist ihre Gewinnmarge begrenzt und mit der PayPal-Preisgestaltung durch ein externes Risiko belegt.
  3. Fehlende technische Implementierung
    Die Anbindung an soziale Netzwerke wie Facebook, MySpace und Twitter lassen auf sich warten. Das liegt zum Teil daran, dass verwendetes JavaScript nicht kompatibel mit diesen ist.
  4. Fehlende soziale Anbindung
    Social Payment kann sein Potential nur durch den „Social“-Faktor entfalten. Soziale Netzwerke als Knotenpunkte unserer Online-Kommunikation wurden bereits genannt. Und auch wenn diese eingebunden sind, wird es nicht ausreichen nur Mitteilungen auszusenden – viele weitere soziale Elemente sind denkbar.

Kulturelle Probleme

  1. Tabu-Thema Monetarisierung
    In der deutschen Blogosphäre stößt es immer noch kritisch auf, wenn ein Blogger den Wunsch der Monetarisierung offen ausspricht. Dabei handelt es sich bei der Einnahmenhöhe von Werbebannern, GoogleAdsense und Affiliate-Links in den meisten Fällen eher um ein Taschengeld denn ein zweites Gehalt. Für die Akzeptanz von Social Payment braucht es eine Bereitschaft Anbieter von Online-Inhalten auch finanziell anzuerkennen.
  2. Autor-Leser-Bindung
    Anerkennung beziehen Anbieter von Online-Inhalten zum größten Teil aus Klickzahlen und Ratings und im besten Fall aus Kommentaren der Konsumenten und Trackbacks anderer Anbieter. Nur die letzteren beiden Feedbacks ermöglichen eine beidseitige persönliche Bindung. Solche Autor-Leser-Bindungen aktiv aufzubauen und zu intensivieren benötigt die beidseitige Bereitschaft.
  3. Bereitschaft zu Transparenz
    Wenn Finanzierer und Empfänger von Social Payment einander bekannt sind, fällt es einfacher eine belastbare Beziehung zwischen beiden aufzubauen. Dazu braucht es die Bereitschaft darzulegen, welche Beträge ein Nutzer an welche Inhalte übersendet werden bzw. welche Inhalte durch welche Personenkreise auch finanziell unterstützt werden. Für Anbieter von Online-Inhalten bedeutet dies mindestens eine teilweise Offenlegung ihrer Einnahmen.
    [Dieses Problem tritt insbesondere bei Kachingle auf, da bei Flattr das soziale Wissen über die Finanzierer fehlt]
  4. Gefahr der Kommerzialisierung
    Durch die Zuordnung finanzieller Anerkennung zu bestimmen Inhalten (Flattr) bzw. zu bestimmten Anbietern, Rubriken oder Autoren (Kachingle) verleiht den Interessen der Konsumenten zusätzliches Gewicht. Es bleibt die Frage offen, inwieweit sich Autoren davon in der inhaltlichen Ausrichtung ihrer Online-Angebote beeinflußen lassen und somit den Konsumenten ein Stück weit Steuerungsmacht erlauben.

Perspektive für Social Payment
An dieser Stelle seien einige Prognosen hinzugefügt, wie sich der Markt für Social Payment in den nächsten zwei Jahren entwickeln wird:

  1. Platzhirsche in der Bereitstellung von Online-Inhalten sind weiterhin die großen Verlage und Medienhäuser. Meinen manche von ihnen heute noch, dass paid walls eine Alternative zum dahinbröckelnden Werbemarkt sind, so werden Sie bald eines Besseren belehrt sein.
  2. Die Transaktionskosten für die beteiligten Finanzdiensleister sind derzeit deswegen so hoch, weil sie nicht für kleine Beträge ausgelegt sind. Hier sind von Paypal neue Gebührenmodelle einzuführen oder es werden alternative Dienste mit besseren Konditionen verwendet. Mittelfristig sollte die finanziellen Transaktionskosten nicht mehr als fünf Prozent ausmachen.
  3. Mit der durch finanzielle Zuwendungen bekräftige Leseempfehlungen wird eine weiter Ebene unserer digitalen Identität herausgebildet. Dabei entstehen wertvolle Profildaten über unsere inhaltlichen und politischen Vorlieben.
  4. Einige der großen Blog-Dienste werden einen Social Payment Dienst in ihr Funktionsportfolio aufnehmen und damit für einen immensen Schub in der Ausbreitung sorgen. Diese Partnerschaft zwischen Social Payment und Blog Diensten wird zugleich das Risiko zerstreuen, dass Facebook FacebookCredits bzw. Google GoogleCheckout zu einem eigenen Social Payment Dienst entwickeln.

Siehe auch:

Disclaimer
Karsten Wenzlaff und Jörg Reschke, die diesen Blog betreiben, sind sowohl mit Kachingle als auch Flattr in Kontakt und Austausch. Kachingle kennen wir seit dem Herbst 2009 und als Privatpersonen außerhalb des Instituts sind wir gebeten worden, andere Blogger in Deutschland auf Kachingle aufmerksam zu machen. Mit flattr hatten wir erstmal auf der re:publica2010 Kontakt und uns dort ausgetauscht. Wir haben uns entschieden das Kachingle-Medaillon auf www.ikosom.de einzusetzen und testen Flattr.

Der Autor unterstützt Kachingle-Gründerin Cynthia Typaldos aktuell bei der Organisation einer Deutschlandreise zum Thema Social Payment. Sollte in den Beitrag an einer Stelle eine einseitige Bewertung eingeflossen sein, so wird um entsprechende Hinweise in den Kommentaren gebeten.

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