Europäische Jugendbildung mit digitalen Lerninstrumenten

Ein wichtiger Schritt in Richtung aktive politische Partizipation ist getan, wenn das Interesse von Jugendlichen geweckt ist. Für europäische Themen zu begeistern, ist dabei nicht immer ganz einfach. Europa und seine Politik spielen in der Lebenswelt junger Menschen eine eher untergeordnete Rolle. Politische Bildungseinrichtungen stehen vor der Herausforderung innovative und attraktive Angebote zu machen. Das Europa-Haus Marienberg setzt bei seiner Bildungsarbeit seit 2010 auf netzbasierte Dienste und digitale Lerninstrumente.

Das Europa-Haus Marienberg liegt weit entfernt vom Pulsschlag der großen Politik, vom Geschehen in Brüssel und Berlin. Es steht im Westerwald, im ländlichen Bad Marienberg, einem Ort mit knapp 6000 Einwohnern und einem überschaubaren Wikipedia-Eintrag. Dennoch wird hier fast täglich über Europa diskutiert und debattiert und das mit Tradition. 1951 gegründet, ist das Europa-Haus Marienberg die älteste Europäische Bildungsstätte und Stammhaus von rund 130 Europa-Häusern. Heute wird hier unter dem Markenkern „think europe“ Grundlagenarbeit in der Europäischen Bildung betrieben und in klassischen Formaten angeboten: Seminare für Jugendgruppen, bi- und multinationale Jugendbegegnungen und Planspiele stehen auf der Tagesordnung. Konventionelle politische Bildungsarbeit? Nicht ganz.

Interaktive Slideshow statt Posterpräsentation

Wer Karsten Lucke und Anselm Sellen, Studienleiter im Europa-Haus Marienberg, nach dem Stellenwert digitaler Dienste für ihre Arbeit fragt, muss sich auf eine lange Antwort einstellen. Sie greifen mittlerweile in jeder Phase auf Online-Plattformen und digitale Tools zurück. Das beginnt schon bei der Vorbereitung. Für nahezu alle Projekte setzten sie einen Blog auf, der schon vor Seminarbeginn zur Kontaktaufnahme mit den Teilnehmern dient. Zusammen mit dem Youtube-Channel des Europa-Hauses dienen diese gleichzeitig der Ergebnisdokumentation. Auch bei der Durchführung und inhaltlichen Auseinandersetzung sind netzbasierte Dienste unabdingbare Helfer geworden.

Geht es um die Recherche und Vermittlung von EU-bezogenen Informationen, legen sie den Jugendlichen digitale Bookmarking-Dienste wie Diigo ans Herz. Gruppendiskussionen werden im Europa-Haus Marienberg mithilfe von webbasierten Editoren festgehalten, die kollaboratives Arbeiten Vieler an einem Dokument ermöglichen. Arbeitsergebnisse stellen die Seminarteilnehmern nicht mehr nur am Flipchart vor, sondern fertigen sie mithilfe von Prezi oder Animoto, Online-Diensten für die Erstellung dynamischer und interaktiver Präsentationen. Auch für die Evaluation nutzen Lucke und Sellen mittlerweile Plattformen wie SoundCloud und sichern das Feedback der Teilnehmer in Form von Audioaufnahmen, die sie online stellen und damit für die Öffentlichkeit zugänglich machen.

Zusammenspiel von analoger und digitaler Welt

Lucke und Sellen verfolgen dabei einen ganz klassischen Ansatz der politischen Bildung: die Partizipation von Jugendlichen. Wissen über die Europäische Union nachhaltig zu vermitteln und Partizipationsbereitschaft zu erzeugen, sei dabei aber nicht immer einfach. „All die Tools und Methoden helfen uns dabei, das Thema attraktiver zu machen.“ sagt Lucke. Die Ziele bleiben dabei die gleichen: über Europa informieren und für politische Themen zu sensibilisieren. Es mache jedoch einen deutlichen Unterschied, ob man Jugendliche mit einem Stift vor ein weißes Blatt Papier setzt oder sie mit Videokamera vor die Tür schickt.

Deswegen verstecken sie auch schon mal präparierte USB-Sticks in Hausmauern und schicken ihre Seminarteilnehmer mit GPS-Geräten auf eine Schnitzeljagd durch Köln: Educaching – Lernen mit geobasierten Daten, kombiniert mit Bewegung und auch ein bisschen Wettbewerbscharakter. An anderer Stellen binden die beiden Studienleiter digitale Dienste in langerprobte Methoden ein und nutzen etwa Twitter als Kommunikationsplattform bei Planspielen zur EU-Erweiterung. Beim Projekt „Digital Storytelling“ ließen sie sich von sogenannten Knickspielen inspirieren, die üblicherweise mit einem Platt Papier und „offline“ gespielt wird. „Dieses Zusammenspiel zwischen analoger und digitaler Welt – damit kriegt man Jugendliche dann auch“ resümiert Anselm Sellen.

Online-Schülerzeitung statt Schwarz-Weiß-Kopien

Hinter der umfassenden Nutzung netzbasierter Plattformen steht auch das Bedürfnis, Bildungsarbeit transparenter und nachhaltiger zu gestalten und einer breiteren Öffentlichkeit zugänglich zu machen. „Es geht darum, die Türen des Seminarraums zu öffnen.“ betont Lucke. Dahingehend habe der Einsatz digitaler Instrumente ihre Arbeit völlig umgekrempelt. Das betrifft auch die Sichtbarmachung und Dokumentation ihrer Projekte. Er persönlich hätte nichts gegen Poster-Präsentationen, sagt Sellen. Jedoch nützen diese nach Seminarende weder den Teilnehmern noch den Förderern von Bildungsstätten, die am Austausch von Erfahrungen und Ergebnissen interessiert sind. Nicht zuletzt aus diesem Grund wurde beispielsweise das Jugendredakteursseminar, das vom Europa-Haus seit 1975 angeboten wird, umstrukturiert. Tausende Schwarz-Weiß-Kopien vergangener Seminare liegen noch immer auf dem Speicher des Europa-Hauses, in Kisten verpackt und ungelesen. Heute werden die Schülerzeitungen digital angefertigt und online gestellt, für jeden einsehbar.

Transparenz und Kritikfähigkeit

Die beiden Studienleiter haben aber natürlich auch Lehrgeld gezahlt. Nicht jeder digitale Dienst wird von den Jugendlichen angenommen, nicht jeder aufgesetzte Blog füllt sich mit Leben. Auch muss man sich, stellt man Kommunikationskanäle bereit, mit kritischen Rückmeldungen auseinandersetzten und sei es nur die Kritik Einzelner am Mittagessen via Facebook. Feedback und Evaluation sind feste Bestandteile nonformaler Bildung, daher ermutige man die Jugendlichen, sich ehrlich zu äußern, auch auf den öffentlichen Plattformen des Europa-Hauses. Karsten Luckes Einstellung dazu ist pragmatisch: „Die Diskussion findet besser mit uns statt als ohne uns“

Dass Sie mit Ihrem Ansatz Vorbildcharakter besitzen, attestierte ihnen 2011 auch die Bundeszentrale für politische Bildung und versah ihr Seminar „Europa digital – Europa 2.0: Facebook, Twitter & Co – Partizipation und bürgerschaftliches Engagement im digitalen Europa des 21. Jahrhunderts“ mit dem Prädikat „Good Practice – Beispielhafte Jugendbildung“.

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Dieser Artikel wurde im Rahmen des Projekts “youthpart”, einem multilateralen Kooperationsprojekt der Fachstelle für Internationale Jugenarbeit der Bundesrepublik Deutschland, kurz IJAB, erstellt und zuerst hier veröffentlicht. Dieses Werk bzw. dieser Inhalt von Lisa Peyer steht unter einer Creative Commons Namensnennung-Keine Bearbeitung 3.0 Deutschland Lizenz. http://creativecommons.org/licenses/by-nd/3.0/de/

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