„Ludwikishafen“, „Gerpedia“ und „Speyerpedia“ sind Stadtwikis, kollaborativ erstellte Online-Enzyklopädien über die Städte Ludwigshafen, Germersheim und Speyer. Die Autoren der drei Wikis sind Schülerinnen und Schüler aus Rheinland-Pfalz. Drei Jahre lang erkundeten sie ihre Städte und füllten die Wikis mit Texten, Videos und Audioaufnahmen. Das 2009 initiierte Pilotprojekt „Ludwikishafen“ wurde in Kooperation mit sieben Schulen verwirklicht und ist heute Ludwighafens erster digitaler Stadtführer aus der Feder von Jugendlichen.
Die Einträge in „Ludwikishafen“ sind nicht vergleichbar mit den Artikeln einschlägig bekannter Online-Lexika, weil sie häufig subjektive Eindrücke beschreiben, statt bloße Fakten aufzuzählen. Oft lesen sie sich wie Berichte von einem Schulausflug und sind reich bebildert mit den Fotos der „Wikireporter“, zahlreichen Schülerinnen und Schülern aus Ludwigshafen. Ganz unbefangen und persönlich berichten sie in ihren Artikeln über das Tierheim in ihrem Stadtteil oder vom dem Besuch in der Kletterhalle um die Ecke. Dafür haben sie recherchiert, Fotos und Videos angefertigt, Beiträge geschrieben und den Umgang mit „Mediawiki“, der lizenzfreien Software die hinter „Ludwikishafen“ steht, gelernt.
Schülerinnen und Schüler der der Anne-Frank-Realschule erstellten 2010 sogar einen eigenen Audio-Guide für die Innenstadt. Nach Besuchen im Stadtarchiv und Interviews mit den Mitarbeitern von Stadtbibliothek und Stadtmuseum produzierten sie 20 Hörtexte zu bekannten Sehenswürdigkeiten. Der so entstandene Stadtführer für die Ohren kann heute in der Touristeninformation von Ludwigshafen ausgeliehen werden.
Pädagogische Stadtwikis zur Förderung von Medienkompetenz
Betreut wurden die Schüler vom Team von medien+bildung.com, einer von der Landesmedienanstalt Rheinland-Pfalz gegründeten Einrichtung zur Förderung der Medienkompetenz junger Menschen und Initiator der drei pädagogischen Stadtwikis. Ihr stellvertretender Geschäftsführer Hans-Uwe Daumann sagt, dass die Beiträge in den Stadtwikis durchaus auch mal unfertigen Charakter haben und ganz bewusst nicht im Nachhinein „geglättet“ oder „aufgehübscht“ wurden. Ein Konkurrenz mit bekannten Wiki-Plattformen liegt daher auch nicht in der Natur der Sache: „Die Bedeutung lag im Prozess und in der Arbeit mit den Schülern.“ betont Daumann.
Nach dem erfolgreichen Start von „Ludwikishafen“ hatte das Team um Daumann mit „Gerpedia“ und „Speyerpedia“ zwei weitere Wikis gestartet und insgesamt zehn Schulen in Rheinland-Pfalz eingebunden. Neben Real- und Gesamtschulen, richtete sich das Projekt auch gezielt an die Schüler von Haupt- und Förderschulen. Obwohl Wikipedia gemeinhin als die große Hausaufgabenhilfe gilt, müsse man beachten, dass es gerade in dieser Zielgruppe Schüler gebe, denen selbst diese Plattform nicht bekannt ist, meint Daumann: „Ein zentraler Aspekt des Projektes war es deshalb, den Schülern das Internet als Informationsquelle näher zu bringen und ihnen aufzuzeigen, wie sie es für sich nutzen können.“
Soziale Kompetenzen durch kollaboratives Arbeiten stärken
Alle drei Stadtwikis wurden im Rahmen des ESF-Bundesprogramms „STÄRKEN vor Ort“ realisiert, dessen Ziel es war, die soziale und berufliche Integration von jungen Menschen mit niedrigem oder gar keinem Bildungsabschluss zu unterstützen. Mit den Stadtwiki-Projekten hatte man sich diesbezüglich in erster Linie die Aufgabe gestellt, die ausbildungsrelevanten Medienkompetenzen von Jugendlichen zu stärken. Das beinhaltet einerseits der Umgang mit digitalen Werkzeugen und der notwendigen Software zur Bearbeitung von Audio- und Videomaterial.
Trainiert wurden die Jugendlichen auch in redaktionellen Fähigkeiten, dem Verfassen und Bearbeiten von Texten. Ein wichtiger Aspekt war dabei auch das kollaborative Arbeiten an den Artikeln. Durch die gemeinsame Konzeption und Erstellung der Beiträge sollten die sozialen und kommunikativen Kompetenzen der Schüler gestärkt werden.
Identifikation stärken und Beteiligungsmöglichkeiten entdecken
Das Konzept der Stadtwikis verfolgte daneben noch einen weiteren Ansatz. Das Interesse von jungen Menschen an ihrem direkten Umfeld, etwa ihrer Schule oder ihrem eigenen Stadtteil, ist zwar in der Regel sehr hoch, das Wissen um die Geschichte und die Geschichten der Bewohner, der Sehenswürdigkeiten und kulturellen Einrichtungen aber eher gering. Durch eine intensive Beschäftigung mit dem eigenen Lebensumfeld wollte man auch die Identifikation der Jugendlichen und ihr Wissen über die kulturellen und sozialen Beteiligungsmöglichkeiten steigern.
Wie auch die Ergebnisse der JIM-Studie 2011 vom Medienpädagogischen Forschungsverbund Südwest zeigen, konsumieren Jugendliche im Alter von 12-19 Jahren zwar fast täglich Inhalte im Internet, stellen aber eher selten selbst aktiv Beiträge ins Netz, produzieren kaum „User Generated Content“. Trotz der einfachen Handhabung beim Erstellen von Texten, Fotos oder Videos im und mit dem Internet, werden diese Möglichkeiten von dieser Altersgruppe noch nicht regelmäßig genutzt.
Das Team von medien+bildung.com hat deshalb nun eine Broschüre erstellt, die Lehrerinnen und Lehrern dazu ermutigen soll, Wiki-Plattformen im Unterricht zu nutzen. Der Leitfaden „Wiki, Stadt und Schule“ erklärt die technischen Voraussetzungen und bietet zahlreiche Materialien und Beispiele sowie ein komplette Unterrichtkonzeption für ein Schuljahr.
Über die Stadtwiki-Projekte von medien+bildung.com berichtete Tobias Albers-Heinemann für youthpart bereits in seinem Artikel „ePartizipation als neue Möglichkeit der medialen Beteiligung von Jugendlichen“.
Dieser Bericht wurde im Rahmen des Projektes youthpart erstellt und zuerst bei Dialog Internet veröffentlicht. Diese Werk bzw. dieser Inhalt von Markus Winkler (ikosom) steht unter einer Creative Commons Namensnennung-Keine Bearbeitung 3.0 Deutschland Lizenz. http://creativecommons.org/licenses/by-nd/3.0/de/
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