Der Journalistenverband Freischreiber berichtete kürzlich über die Aktion „Facing Europe“: Drei Journalisten aus sechs Nationen, die im kommenden September einen Monat lang live aus Bulgarien und Rumänien berichten werden. Von Redaktionen bekamen sie dafür keine Unterstützung – offenbar interessieren die sich nicht vor Osteurpa – “Schon gar nicht, wenn wir dafür Geld in die Hand nehmen müssen”. Mit diesen Worten reagierte eine Deutsche Tageszeitung auf das Artikelangebot der Journalisten.
Dahinter steckt die in deutschen Redaktionen ziemlich verbreitete Denke, dass sich die Leser für solche aufwändigen Reportagen eben nicht interessierten, sondern lieber auf banale Bilderstrecken Marke „Kreuzfahrten in Dubai“ klicken und dabei den sogenannten Qualitäts-Journalismus gerne außen vorlassen. Das stimmt nach meiner Beobachtung nur bedingt: Leser sind bereit, für Inhalte zu zahlen, zu denen sie einen emotionale Bindung haben und die einen irgendwie gearteten Bezug zur Lebensrealität des Lesers aufweisen. Bei abgehobenen Feulliton-Artikeln gilt das eben nur für einen kleinen Teil des Fachpublikums, bei politischen Analysen werden es dann schon mehr. Viel mehr Leute können hingegen etwas mit Geschichten über andere Menschen anfangen, auch weil sie sich mit diesen identifizieren. Und das können dann auch gerne niveauvolle Inhalte sein. Nur müssen diese gut und spannende vermittelt werden, was leider viel zu selten passiert. Der Ton macht die Musik!
Ich spreche da aus eigener Erfahrung: Ich muss gestehen, ich gehörte selbst lange der Fraktion an, die glaubte, man kann mich schönen und interessanten Inhalten kein Geld verdienen. Zum Beispiel, weil Leser via Google im Internet nach schnell verwertbaren Informationen suchen. Oder vielleicht steckte unbewusst auch wenig die Deutsche Haltung “Geld verdienen muss wehtun” dahinter. Schließlich habe doch mal gewagt, ein internationales Reportageprojekt zu starten. Mehr aus persönlicher Freude, denn aus überzeugung, die tolle Geschäftsidee gefunden zu haben. Unterstützt durch diverse Sponsoren berichte ich seit über einem Jahr von Berufsbildern, Geschäfts- und Marketingideen weltweit.
Schöne Geschichten statt Kreuzfahrten
Was ich gar nicht erwartet hatte, mich dennoch aber um so mehr freut: Die Sache kommt an. Die Reportagen aus der ganzen Welt werden gelikt, getwittert, geplust und kommentiert – sogar aus dem Ausland. Und was ich dabei immer mehr merke: Den Lesern gefallen genau solche Texte, zu denen auch ich einen starken emotionalen Bezug habe. Offenbar merkt man es den Texten an, wenn ich mit Freude dabei bin. Oder wenn ich mich besonders über ein Thema aufrege. Das hat mein Weltbild verändert. Und zeigt, dass Erfolg am Ende doch völlig unberechenbar ist. Die Reportagen aus der ganzen Welt werden immer mehr zu meinem Alleinstellungsmerkmal. Er spornt mich an, noch spannendere und interessantere Geschichten für meine Leser zu finden. Und es hilft mir, neue Sponsoren zu gewinnen – und weitere Werbekunden.
Um so mehr freue ich mich, wenn sich auch ander Journalisten nicht durch die gängige Unkenrufe aus den Redaktionen abschrecken lassen – und ihre Recherchefinanzierung in die eigene Hand nehmen. Mit der Aktion Facingeurope zum Beispiel: Hier wollen sechs Journalisten aus drei Nationen einen Monat lang in zwei Teams durch Rumänien und Bulgarien reisen. Sie wollen herausfinden, was sich seit dem EU-Beitritt der beiden Länder 2007 verändert. Täglich berichten sie auf ihrem Blog www.facingeurope.eu und bei Twitter twitter.com/facingeurope, was sich in den letzten Jahren seit dem EU-Beitritt verändert hat – neben gängigen Klischees – und befragen unter anderem junge Naturschützer, Holzdiebe und Künstler.
Crowdfunding-Zahlen unter der Lupe
Finanziert wird das Projekt via Crowdfunding unter www.startnext.de/facing-europe. Die Prämienauswahl und Zustimmung der Leser zeigt sehr schön, unter welchen Bedingungen ein solches Projekt funktionieren kann – was genau auch meine Beobachtung bestätigt. Die Leser crowdfunden nämlich vorranging für solche Prämien, zu denen sie einen emotionalen Bezug haben: Zum Beispiel Trashpostkarten, welch witzige Idee, für 25 Euro, mit 15 Supportern die meisgenutzte Prämie. Dicht gefolgt vom persönlichen Mitbringsel für 50 Euro oder dem persönlichen Foto. Auch das Dankeschön-Paket für 100 Euro oder der persönliche Diavortrag für 300 Euro findet Abnehmer. Was hingegen gar nicht interessiert, sind die Business- und Werbeprämien wie ein Workshop zum mobilen Reise-Journalismus, ein Business-Logo oder gar das Premiums-Sponsoring für 1.000 Euro. Denn genau das sind die Ideen, die dem Leser emotionale Anknüpfungspunkte liefern. Wenn dem Leser das geboten wird, kann auch die Finanzierung funktionieren.