Wer gewinnt eigentlich beim Leistungsschutzrecht? Überraschenderweise gewinnen alle – Verleger, Google, Blogosphäre. Nur die Wahrheit bleibt auf der Strecke. Und journalistische Innovationen, weil weder Google noch die Presseverleger glaubhaft sich für neue Geschäftsmodelle im Internet einsetzen, die wegkommen von der Dichotomie von Kostenloskultur vs. Paywall. Und auch das Parlament hat am Ende verloren – und zwar unabhängig von Regierungs- oder Oppositionszugehörigkeit, weil es sich von Google und den Verlegern als schmierige Projektionsfläche einer Kuchenaufteilung benutzen ließ.
Wer morgen in Jubel oder Trauer ausbricht, wenn das Leistungsschutzrecht für Presseverleger im Bundestag beschlossen wird, versteht nicht, dass weder für Google noch für die Presseverleger das Gesetzgebungsverfahren der Austragungsort der Konflikte ist. Sowohl Google als auch die Presseverleger haben ihre Ziele eigentlich schon längst erreicht. Deswegen ist es für beide Parteien auch vollkommen unerheblich, wie die Abgeordneten morgen im Parlament abstimmen.
Wenn man die Lobbyarbeit der Presseverleger in den letzten fünf Jahren verstehen will, muss man sich vor Augen halten, dass das Leistungsschutzrecht nicht Ziel der Verleger war, sondern nur Mittel zum Zweck. Zweck der Debatte um das Leistungsschutzrecht war es für die Verleger, sich als integraler Bestandteil der öffentlichen Meinungsbildung zu etablieren – die Presseverleger als wichtigstes Standbein der vierten Gewalt. Nicht mehr die Vielfalt der Presselandschaft, sondern die Erhaltung des Geschäftsmodells der Printzeitung ist mittlerweile Staatsräson. Kein Politiker würde sich trauen, die Veränderung des Marktes für Printzeitungen als Teil des Fortschritts anzusehen, der er ist – sondern die Verleger haben es eindrucksvoll geschafft, das Meme zu etablieren, dass jedes Mittel recht ist, um die Print-Zeitungen abzusichern, denn sonst droht der Untergang des Abendlandes oder noch mehr.
Dieses Argument stärkt die Presseverleger auch bei einem ganz anderen Thema – dem Depublikationsgebot für die öffentlich-rechtlichen Sender. Nur vor diesem Hintergrund ist es zu verstehen, dass die Politik trotz 8 Milliarden aus der Haushaltsabgabe bereit ist, das wirtschaftliche Interesse der Presseverleger über das Interesse am unbeschränkten Zugang zu öffentlich-finanzierten Medien zu stellen.
Die Leistungsschutzrechtkampagne der Verleger sorgte auch noch für einen weiteren Vorteil: Aus dem zerfaserten Haufen der Zeitungsverleger wurde durch die Konzentration auf den gemeinsamen Gegner Google ein schlagkräftiger Lobbyverband, der mittlerweile in vielen Teilen der Medienpolitik, die überhaupt nichts mit ihren Kerngeschäften zu tun haben, mitredet: Netzpolitik, Senderlizenzen, Breitbandversorgung, Datenschutz, Adresshandel, Mehrwertsteuerreform. Und das nicht nur publizistisch, sondern sehr tatkräftig hinter den Kulissen.
Die Verleger haben sehr aufmerksam beobachtet, wie Google mit der GEMA umging, um die GEMA-Gebühren auf Video-Streamings zu verhandeln. Oder auch nicht verhandelte – vielmehr war es so, dass Google über eine doch recht polemische Kampagne das Image des schwerfälligen Riesen GEMA so zerfleddern konnte, dass heute weder Musiker noch Musikliebhaber sich noch mit der GEMA öffentlich assozieren möchten. Die Presseverleger wollten nicht wie die GEMA enden und konzentrierten ihre Maßnahmen darauf, in allen Parteien Verbündete zu finden und den Druck auf Google vor allem durch angekündigte gesetzgeberische Maßnahmen wie das Leistungsschutzrecht zu erhöhen.
Youtube vs. GEMA und Google vs. Verleger: Sie alle können nur existieren, weil es hunderttausende 1-Personen-Unternehmen der Kreativwirtschaft gibt, die relativ wenig Marktmacht haben und sich deswegen ihre Preise diktieren lassen. Google und Youtube sind Quasi-Monopolisten im Bereich der Distribution im Netz, die GEMA als Verwertungsgesellschaft hat ein Quasi-Monopol in der Lizensierung von Inhalten und die Presseverleger haben ein Oligopol zumindest noch für den Printmarkt und daher über die ökonomische Verwendung von einem großen Volumen der Anzeigen.
Sie haben gemeinsam das Ziel, die Inhalte aus der Kreativwirtschaft möglichst preiswert in ihre Verwertungs- und Distributionssysteme zu bekommen. Nur wenn Journalisten schlecht bezahlt werden und Musiker wenig verdienen, lassen sich darauf für das Internet die aktuellen Geschäftsmodelle aufbauen, die zum Teil daraus bestehen, Reichweite durch die kostenlose Bereitstellung von Inhalten zu erlangen.
Und hier kommt es zu einem fatalen Trugschluss der digitalen Zivilgesellschaft und ihrer zahlreichen Akteure, wie der Digitalen Gesellschaft eV, irights, D64, CCC und wie sie alle heißen: Zwar hat auch die Gesellschaft ein Interesse daran, dass möglichst viele Inhalte im Netz verfügbar sind und für neue Kreativgüter verarbeitet werden können. Die Gesellschaft hat auch ein Interesse daran, dass die Urheber von Kreativgütern im Netz ein Geschäftsmodell aufbauen können. Aber sie hat weder ein Interesse daran, das Geschäftsmodell der Printverleger noch das von Suchmaschinen zu schützen.
Wenn die digitale Zivilgesellschaft ohne Eigeninteressen sich für die digitalen Allgemeingüter einsetzen würde, dann würde sie sowohl Google als auch die Presseverleger kritisieren. Sie würde kritisieren, dass bei aller Beteuerung für den Innovationsstandort in Deutschland die Ausschüttungsmodalitäten bei GoogleAdWords eine Schande sind. Sie würde kritisieren, dass viele Presseverleger alles tun, um die Urheber von Texten eben nicht an den digitalen Erlösen zu beteiligen. Sie würde kritisieren, dass es weder im Interesse von Google noch der Verleger ist, für digitale journalistische Inhalte im Netz zum Beispiel auf Social Payment basierende Vergütungsmodelle auszubauen.
Aber die digitale Zivilgesellschaft ist eben nicht ohne Eigeninteresse – das Interesse an Kampagnen und Mobilisierung und Polarisiering ist höher als das Interesse am Diskurs. Ausgehend von einem schlecht gemachten Gesetz werden allerhand Behauptungen aufgestellt, die oft so unreflektiert wirken, dass man fast den Kopf schütteln möchte. Da wird zum Beispiel behauptet, das Leistungsschutzrecht würde Innovation verhindern – dabei spricht viel dafür, dass Innovation viel mehr mit der Überwindung technischer Schranken als gesetzgeberischer Schranken zu tun hat. Man übernimmt ohne Reflektion die Behauptung von Google, dass nur ein Gegner des Leistungsschutzrechts ein Verteidiger des Netzes sei, als ob das Netz abgestellt wird, sobald das Leistungsschutzrecht kommt.
Selbst Journalisten wie Mario Sixtus sind stolz darauf, dass sie mit komischen Vergleichen wie „Der Taxifahrer muss auch nicht das Hotel dafür bezahlen, wenn er Gäste zum Restaurant bringt“ das Leistungsschutzrecht erklären – bei aller Symphatie für die Gabe von Sixtus, Sachverhalte treffend zu erklären, so ist doch der Taxi-Vergleich auf so vielen Ebenen schief, dass man sich darüber nur ärgern kann.
Genauso wie für die Presseverleger Google zum Feind geworden ist, so hat ein großer Teil der digitalen Zivilgesellschaft sich den Springer-Lobbyisten Christoph Keese als Feind auserkoren. Der Verein Digitale Zivilgesellschaft ist sogar so weit gesunken, den Nachnamen des Lobbyisten auf ein Online-Banner zu nehmen – ein typisches adHominem-Argument – als ob man das Leistungsschutzrecht nicht kritisieren könnte, auch ohne persönliche Attacken zu fahren.
Der Bundestag ist in diesen Schattengefechten im Netz zur Bühne politischer Kampagnen geworden. Ein paar Monate vor der Wahl ist das wenig überraschend – aber es ist schon erstaunlich, wie wenig Diskurs es um die Frage gibt, wie man einerseits langfristige Geschäftsmodelle für Urheber im Internet ordnungspolitisch flankieren kann, ohne den Zugriff einer freien Gesellschaft auf Informationen einzuschränken.
Gleichzeitig werden mit Wissen der Politik in kleineren Kreisen zwischen Google und den Presseverlegern die wichtigeren Dinge verhandelt – Adwords-Vergütung, Manipulation von Suchergebnissen zugunsten von Online-Zeitungen, Payment-Systeme fûr Mobile Paywalls. Das können die Unternehmen ja gerne machen, aber in den Gesprächen wird mehr zur Entwicklung des Mediensystems in Deutschland entschieden als heute im Bundestag.
Wer heute also für oder gegen das Leistungsschutzrecht demonstriert oder abstimmt, muss aufpassen, dass er sich nicht zur digitalen Marionette von Monopolisten und Oligopolisten macht: Weder Parlanentarier noch die Netzaktivisten haben das verdient.
Update: Zwei Artikel, welche in die gleiche Kerbe schlagen:
1) Kai Schächtele auf Carta.de:
Es ist deshalb an der Zeit, dass sich die Urheber, um die es nach den wohlfeilen Worten so vieler Politiker ja zuvorderst geht, endlich emanzipieren, und zwar von beiden Seiten. Nichts wäre im Moment nötiger, als dass Autoren, Fotografen, Blogger, Journalisten und viele andere klar machen, dass es im Kampf zwischen Google und den Presseverlagen eine dritte Gruppe gibt, die weder auf der einen noch auf der anderen Seite steht, bevor ihre Interessen in diesem Kampf zermahlen werden.
2) Kai Biermann bei Zeit.de:
In beiden Diskussionen ging es nicht darum, wie eine möglichst vielfältige und unabhängige Presse in Zukunft aussehen und finanziert werden kann und soll – was bereits nur ein Teilaspekt des Themas Urheberrecht und Internet wäre. Es ging in den vergangenen Jahren lediglich darum, wie sich das Geschäftsmodell einiger weniger Unternehmen sichern lässt, und wie sie vom Geschäftsmodell eines anderen Unternehmens profitieren oder sich öffentlich-rechtliche Konkurrenz vom Leib halten können.
Bleibt zu hoffen das bei den Entscheidungsträgern der gesunde Menschenverstand die Oberhand behält und nicht an die Gier nach Schmiergeld verliert.
Wie sich der Autor über Sixtus mit seinem angeblich schiefen Vergleich (der es allerdings haargenau trifft) ärgert, ärgere ich mich über die Antworten, die dieser ellenlange Text hier schuldig bleibt.
Vielleicht hätte sich Herr Wenzlaff besser auf schlagkräftige Argumente konzentrieren sollen, als in vielen Worten das zusammenzufassen, was ohnehin jeder weiß? Was ist denn nun das Fazit dieses Beitrags? Sollen am besten alle ihren Mund halten, weil jeder selbst Dreck am Stecken hat?
Hallo Alter Ego – was nützen schlagkräftige Argumente in einem Scheinkonflikt, bei der jede Seite die Argumente des anderen verdreht, ohne darauf einzugehen?
Ich finde die im Artikel angesprochene Lobbyarbeit der Verleger und die Schaffung von Feind(bildern) sehr interessant. Während man sich in Deutschland noch vergeblich bemüht, zu betonen, dass es sich beim LSR eben nicht um eine „Lex Google“ handelt, hat man dem Konzernriesen in Frankreich mit der Unterzeichnung eines gemeinsamen Abkommens eine ähnlich entscheidende Rolle zugewiesen.
Wie ein ausländischer Staatspräsident stand Google-Chef Eric Schmidt neben dem franz. Präsidenten Francois Hollande an seinem eigenen Rednerpult.
Ich finde es sehr einleuchtend, dass es den Verlagen eher darum geht, einen Monopolisten zu schwächen als die Rechte der Autoren zu schützen.