Morgen findet eine Podiumsdiskussion anlässlich der Vorstellung des gleichnamigen Buches in der Bremer Vertretung in Berlin statt.
Heute hatte ich zudem das etwas einerseits schöne Erlebnis, den Intendanten des Bayerischen Rundfunks Ulrich Wilhelm etwas zum Thema „Digitalisierung und demokratischer Diskurs“ sagen zu hören, wobei ich eben andererseits mich wunderte, mit welcher Vehemenz der Intendant des Bayerischen Rundfunks die Geschäftsmodelle der Printzeitungen verteidigte, welche ihm im Dank dafür das Depublikationsgebot und das Leistungsschutzrecht servierten.
Da es nach der Veranstaltung in der Bayerischen Vertretung keine öffentliche Diskussion, sondern „nur“ einen Weinempfang gab und ich mich noch mit ein paar Thesen verstärkt auf die Diskussion morgen vorbereiten will, habe ich hier schon mal vorab zur Diskussion ein paar Sätze aufgeschrieben. Sie sind vage und bedürfen sicherlich einer weiteren Ausformulierung. Kommentare erfreuen aber.
1. Die Digitalisierung der Kommunikation ist begleitet vom irreversiblen Wandel von Praktiken, Kontexten und Geschäftsmodellen im Journalismus.
Kein Leistungsschutzrecht, keine Google-Steuer, kein Verbot der Tagesschau-App und keine Paywall werden den Prozess der Digitalisierung zurückdrehen können. Die digitale Moderne ist da, sie ist gewollt, sie bedeutet gesellschaftlicher Fortschritt – vor allem weil die Verbreitung von Informationen so ressourcensparsam wie noch nie ist. Die Menschheit ist zivilisierter, wenn Informationen schnell und einfach verfügbar sind. Digitalisierung bedeutet also vor allem Zivilisation.
2. Die durch die digitalen Moderne vorangebrachten Umwälzungen sind aber nicht nur eine Frage der Durchführung und Finanzierung von Journalismus, sondern der Funktionsfähigkeit von Öffentlichkeit.
Die grundlegende Frage, an der sich jeder technische Fortschritt messen lassen muss, ist inwiefern sie der Öffentlichkeit hilft. Öffentlichkeit, nur unvollständig mit Open oder Public im englischen beschrieben, ist beides: Zugang und Diskurs. Wer die digitale Moderne zum Vorwand nimmt, um einen erschwerten Zugangs oder einen eingeschränkten Diskurs durchsetzen zu wollen, stellt sich gegen den zivilisatorischen Fortschritt.
3. Die „Krise des Journalismus“ ist vor allem eine Krise der Massenmedien.
Zeitungssterben hin und her, aber kein Zeitalter zuvor sah soviele Massen an Medien und sowenig Relevanz der Massenmedien. Die schiere Anzahl verfügbarer Medien nimmt nach wie vor zu. Die Massenmedien verlieren an Einfluss, Aufmerksamkeit, Relevanz – und nicht zuletzt deswegen an Einnahmen.
4. Journalisten und Medienunternehmen sitzen nicht mehr im gleichen Boot.
Die wirtschaftliche Krise der Massenmedien ist nicht zuletzt Symptom einer Auflösung des institutionellen Rahmens von Journalismus und Medienorganisationen – Journalismus findet nicht mehr nur in den Medienorganisationen statt und Medienorganisationen beschäftigen sich nicht mehr in erster Linie mit Journalismus. Die Solidarität der Journalisten mit den Medienorganisationen sollte ein Ende dort haben, wo die Medienorganisationen keine Solidarität mit den Journalisten gezeigt haben.
5. Die Rolle des Gatekeepings, des Bewertens und Kuratieren von Informationen übernehmen immer stärker Einzelpersonen, weniger Medienorganisationen.
Informationen bewerten, recherchieren, aufbereiten war in der Geschichte des Journalismus immer ein kollaborativer Prozess. Das ist es auch nach wie vor, allerdings benötigt es nicht mehr die institutionellen Rahmenbedingungen der Redaktionssitzung. Kollaborativer Journalismus kann über Zeit- und Ortsgrenzen hindurch funktionieren und dabei sogar besser funktionieren. Gatekeeping und das Kuratieren von Informationen sind nicht an das Medium (z.B. Print, TV) gebunden – und erst recht nicht an ein Geschäftsmodell.
6. Die Ausbildung von Journalisten führt zum „Brain Drain“ der Medienorganisationen.
Nach wie vor orientiert sich die Ausbildung von jungen Journalisten am Bedürfnis von Medienorganisationen, von Sendern und Zeitungen. Auch aus ökonomischen Gründen ist das für viele junge Journalisten noch das erstrebenswerteste Ziel: ein Job als Redakteur in einer Tages- oder Wochenzeitung oder Fernsehsendung. Diejenigen, die innovativ sind, schreckt das ab. Diejenigen, die innovativen Journalismus ermöglichen, suchen sich abseits der etablierten Ausbildungsverfahren, abseits der etablierten Medienorganisationen, abseits der etablierten Karrierewege einen Weg – es kommt zum „brain drain“ der Medienorganisationen.
7. Die staatlich-gelenkte Medienökonomie des öffentlich-rechtlichen Rundfunks und der Printzeitungen belohnt die Innovationskepsis.
Sowohl die Entscheidungsmethoden im öffentlich-rechtlichen Rundfunk als auch in den Print-Zeitungen (und teilweise deren Online-Ablegern) ist hierarchisch, autoritär, wenig innovativ, setzt wenig Anreize hin zu neuen Formaten. Die Medienökonomie in Deutschland sorgt eher für das Verhindern von Innovationen als das Befördern.
Die Debatte um das Leistungsschutzrecht, aber auch um die Haushaltsabgabe werden so gut wie nie im Hinblick auf die Innovationsfähigkeit geführt, sondern immer nur um die angebliche gesellschaftliche Verantwortung für die Medienvielfalt, die de facto in eine gesellschaftliche Verantwortung für den öffentlich-rechtlichen Rundfunk der jetzigen Form und der Printzeitungen in ihrer jetzigen Form uminterpretiert wird.
8. Privates, staatliches und öffentliches Mäzenatum muss in Zukunft eher Innovation fördern als alte Geschäftsmodelle zementieren.
Crowdfunding, Stiftungsfinanzierter Journalismus und Modelle der Haushaltsgabe mit Crowdsourcing sind Auswege aus der Innovationsbremse der Medienökonomie in Deutschland. Sie setzen aber auch einen Kulturwandel bei den Medieneliten voraus, der im Augenblick nicht zu sehen ist.
9. Innovationen können nur durch Experimente herbeigeführt werden.
Experimente im Journalismus – das betrifft alle Bereiche: Recherche, Aufarbeitung und Bereitstellung des Journalismus, Distributionswege, Interaktion. Es gibt keinen Königsweg des Journalismus in der digitalen Moderne. Aber es gibt einen Narrenweg: starre Hierarchien, fehlende Fokussierung, fehlende Technikbegeisterung, digitale Skepsis.
10. Das Publikum ist die größte Ressource eines Medienhauses – nicht als Werbekonsument, sondern als Agenten der unbekannten Information.
In Medienhäusern, selbst bei namhaften Online-Zeitungen, wird das Publikum nur gesehen als Einkommensgarant – als Werbekonsument, als Klickmaschine, als Abonnent, als Gebührenzahler. Selten denkt man darüber nach, wie man das Publikum tatsächlich in den redaktionellen Prozess einbaut.
11. Hyperlokaler Journalismus hat viel weniger mit Journalismus vor Ort als mit authentischen Informationen zu tun.
Der Erfolg der lokalen Journalismusprojekte, Lokalblogs oder hyperlokale Blogs, beruht auf Authentizität in der Darstellung von Informationen und Netzwerke sowie der Einbeziehung des Publikums in den redaktionellen Prozess. Das konnten traditionelle Medien auch mal, sie haben es aber verlernt.
12. Datenjournalismus hat viel weniger mit Daten zu tun als mit den Menschen, die Daten verstehen müssen.
Das Reizvolle amDatenjournalismus ist weniger, Daten analysieren zu können, sondern sie ansprechend aufbereiten zu können. Das ist weniger eine Programmiertechnik als ein gelerntes Handwerk.
13. Der digitale Newsroom hat viel weniger mit dem technischen Fähigkeiten des Computers, sondern mit den kommunizierenden Fähigkeiten des Redakteurs zu tun.
Der digitale Newsroom besteht zwar auch darin, die Echtzeitinformationen aus dem Netz sofort verarbeiten zu können, aber viel wichtiger ist es, die spontanen Kontakte in Echtzeit zwischen dem Leser und Zuschauer und den Redakteuren zu ermöglichen.
14. Investigative Recherche kann ein Computer nicht abnehmen, aber erleichtern.
Das Gespür des Journalisten für Themen und die Recherche selber kann der Computer nicht automatisch erfüllen, er kann aber viele Hilfestellungen leisten.
15. Medienhäuser können Innovatoren sein – wenn sie das Verhältnis Menschen-Nachrichten-Daten verstehen.
Medienhäuser haben ihr Innovationspotenzial nicht verloren, sie nutzen es nur nicht. Dabei haben sie die personellen und technischen Kapazitäten in Überfluss vorhanden.
16. Nicht die Technologie treibt den Wandel an, sondern die Bedürfnisse schaffen sich die Technologie.
Das Publikum möchte Journalismus, digitalen Journalismus, mobilen Journalismus, interaktiven Journalismus. Deswegen konnten sich Technologien wie Smartphones und Tabloids erst etablieren.
17. Die Kulturtechnik des authentischen Kopierens wird das Geschäftsmodell des digitalen Journalismus etablieren.
Es gibt Geschäftsmodelle im Internet, in der digitalen Moderne. Die basieren nicht auf Zugangsbeschränkung, sondern auf Kopieren und Teilen, aber mit Absender und Verlinkung. Dazu muss das Kopieren von der Gesellschaft neu gelernt werden.
18. Weder Dystopie noch Utopie können die Digitale Moderne des Journalismus richtig beschreiben.
Wer den Journalismus in der digitalen Moderne als Krise beschreibt, übersieht die fruchtbaren Biotope. Wer ihn als Paradies beschreibt, übersieht die vielen Wüsten der Innovationskraft. Beide Perspektiven zusammenzuführen ist die Herausforderung, der sich Journalisten und Medienorganisationen stellen müssen.
4 Replies